Vom 23. September. bis 5. Oktober 2023 reiste ich von Frankfurt am Main über Casablanca nach Bissau.
Dieser eher ungewöhnliche Reisetermin noch vor Ende der Regenzeit eröffnete mir besondere Erfahrungen. Anuar Djedjo, der IOGT-Schulmanager und mein Gastgeber, hatte mir in der Vergangenheit immer mal wieder von heftigem Regen erzählt. Den erlebte ich jetzt fast täglich.
Hier zeigte sich der Klimawandel in der Heftigkeit der Gewitter mit sinnflutartigen Regenfällen und zum Teil heftigen Sturmböen. Ich erinnere mich nicht, je so intensives und langanhaltendes Wetterleuchten in Verbindung mit Gewittern erlebt zu haben.
Unabhängigkeitstag Guinea-Bissau
Gleich zu Beginn meiner Reise wurde es geschichtsträchtig.
Am 24.Septemberg 1973 erklärte die PAIGC (Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit Guinea-Bissaus und Kap Verde) nach über 10jährigem Befreiungskampf gegen die portugiesische Kolonialmacht die Unabhängigkeit für Guinea-Bissau.
An diesem Wochenende wurde also der 50. Jahrestag der Unabhängigkeit begangen. Das Fernsehen berichtet ausgiebig darüber. Zentrale Person dieser Zeit war Amilcar Lopes Cabral, geb. 1924 in Bafata, damals Portugiesisch-Guinea.
Als Sohn kapverdischer Eltern wuchs er in Bafata und den Kap Verdischen Inseln auf, studierte tropische Landwirtschaft in Lissabon/ Portugal und fing schon als Student an, sich für die Ungerechtigkeit des Kolonialismus zu interessieren. 1956 war er treibende Kraft der Gründung der PAIGC, welches im Nachbarland Guinea erfolgte. Cabral stand an der Spitze des Befreiungskampfes und warb dafür gerade auch in Europa.
Cabral wurde im Laufe der Jahre das Gesicht der Bewegung und galt später unter anderem als Freund Olof Palmes.
Das portugiesische Militär versuchte mehrfach, Cabral zu töten, so 1970 in Conakry/ Guinea.
Tragischerweise erlebte Amilcar Cabral die Unabhängigkeit nicht mehr, da er im Rahmen eines internen Putsches am 20. Januar 1973 in Conakry von einem Offizier der eigenen Einheiten erschossen wurde, weil er sich bei seiner Festnahme weigerte, sich fesseln zu lassen. Obwohl die Mörder namentlich bekannt waren, blieben die Hintergründe unaufgeklärt. So verlor Guinea-Bissau noch vor seiner staatlichen Geburt seinen charismatischen und gebildeten Anführer. Das sollte in den folgenden Jahren nicht der einzige Militärcoup bleiben, so dass dieses Land lange als „failed state“ (gescheiterter Staat) galt. Der 21. Januar ist heute Nationalfeiertag der Republik Kap Verde.
Am Abend des Unabhängigkeitstages besuchten Anuar und ich Carimo, ein langjähriges IOGT-Mitglied. Dort trafen wir einen Nachbarn, einen Veteranen des langjährigen Befreiungskampfes, einen Mann der ersten Stunde. Dieser eher schweigsame alte Mann geriet erst in Fahrt, als es um die Würdigung des Einsatzes dieser Männer ging, also eine monetäre Anerkennung ihres Einsatzes in diesem langen Kampf. Die gibt es bis heute nicht von staatlicher Seite. Da der Feiertag an einem Sonntag lag, war auch der Folgetag noch ein Feiertag, es sollten schließlich alle etwas vom freien Tag haben. Allerdings spielte dieses nur bei öffentlichen Einrichtungen eine Rolle, alle Kleingeschäfte liefen weiter.
Guinea-Bissau hat derzeit massive wirtschaftliche Probleme
Davon berichtete auch Karsten Wille vom Deutschen Verbindungsbüro in Bissau, seit über 10 Jahren meine deutsche Vertrauensperson vor Ort. Die Chashew-Kampagne verlief dieses Jahr ausgesprochen schlecht, weil der Weltmarktpreis gesunken war. Viele Bauern hatten sich wegen guter Erträge in der Vergangenheit bequem eingerichtet und sich nicht darum gekümmert, in die Selbstversorgung zu investieren. Nun fehlt diesen Menschen ein Großteil der Jahreseinnahmen und darunter leidet das gesamte Gemeinwesen.
Zum Teilen flüchten die Menschen sich in ihrer Verzweiflung in Kleinkriminalität, Diebstähle haben deutlich zugenommen. Zu Beginn meiner Reise gab es fünf Tage lang kein Brot zu kaufen. Die Regierung wollte den Brotpreis zu Gunsten der Menschen positiv regulieren. Allerdings gab es keine Lösung für das durch die vielen Kleinbäcker bereits teuer eingekaufte Mehl, welches diese natürlich zuerst aufbrauchen wollten, bevor es verdarb und sie subventioniertes Mehl kaufen konnten. In der Konsequenz traten die Bäcker in einen Streik. Wie die politische Lösung aussah, entzieht sich meiner Kenntnis.
Nach der Anerkennung der Unabhängigkeit durch Portugal 1974 machte sich die neue Regierung mit viel Elan an den Aufbau eines tragfähigen Schulsystems für alle mit 6 Jahren Mindestschulzeit.
Allerdings erlahmten diese Bemühungen in den 1980er Jahren bereits wieder. Damals entstanden viele kleine Privatschulen, so auch die erste Schule von IOGT Guinea-Bissau in Bissau, Plack 2.
Es gibt eine hohe Zahl von Analphabeten im Land. Mein Hauptaugenmerk galt der von Forut finanzierten Schule in Kinak und dem Wiederaufbau des durch einen Gewittersturm im Sommer 2020 zerstörten ersten Schulgebäudes.
Die Schule wurde durch meinen Besuch aus dem Sommerschlaf gerissen und Anuar hatte die Idee, ein Schulfest zum neuen Schuljahresbeginn zu initiieren. Wir reisten also am 3.Oktober 2023 früh aus Bissau an mit 2 Säcken Reis, 8 Liter Sonnenblumenöl, 3 Karton voll Hühnerbeinen und Kleinkram zum Kochen.
Zu Anfang gab es zwar ein paar kommunikatorische Unklarheiten und es wirkte so, als wüsste niemand, was eigentlich Sache sei.
Nach gut einer Stunde war dann wohl geklärt, wer was übernimmt. Frauen und Männer fanden sich ein. Die einen zum Kochen, die anderen, um längst fällige Arbeiten an der Schule vorzunehmen. Viele Kinder waren schon aufgetaucht und spielten in kleinen Gruppen, später dann auch Fußball oder schauten einfach nur zu, was so passierte.
Da der Schulbeginn erste am 9. Oktober sein soll, waren die Räume noch nicht vorbereitet, aber nächste Woche werden für die Klassen 1. bis 6. die Räumlichkeiten bereit stehen. Der Bedarf in Kinak ist ungebrochen hoch.
Bei der Essenverteilung zu diesem Fest wurden über 150 Mahlzeiten an Schülerinnen und Schüler ausgegeben und niemand musste hungrig nach Hause gehen. Wie wichtig in jetzigen Zeiten eine Festivität mit Essen und Trinken ist, zeigte sich an der ausgesprochen guten Stimmung zum Abschluss und an dem Dank der Lehrerinnen und des Frauenkomitees.
Forut wird auch in der Zukunft im Rahmen seiner Möglichkeiten IOGT Guinea-Bissau als Schulbetreiber unterstützen. Dazu möchte ich mich hier einmal stellvertretend für alle bei den Guttempler-Gemeinschaften „Rheinfels“ in Düsseldorf und „Weggefährten“ in Hamburg als langjährige Unterstützer der Arbeit bedanken.